Mein Kommentar zum Artikel von Urs Hafner in der NZZ vom 07. September, 2019

07.09.2019 14:26

Schon der reisserische Titel lässt aufhorchen: 

«Vergleiche der Schweiz mit dem «Dritten Reich», Verschwörungstheorien und Sühnephantasien – der Expertenbericht zu den administrativ Versorgten ist eine verpasste Chance».

Und dann im Kleingedruckten die Präzisierung: 

«Der Schlussbericht der Expertenkommission zu administrativen Versorgungen in der Schweiz ist zwiespältig. Betroffene kommen zu Wort, aber mit ihren Aussagen setzt sich das Forschungsprojekt  zu wenig auseinander».

«Die Operation ist gelungen». Damit meint Hafner den letzten Band ‘Organisierte Willkür’, welcher die neun vorangegangenen Publikationen «prägnant» synthetisiert. 

Doch dann, ganz süferli, verschiebt sich die Optik des Journalisten von der gelungenen Arbeit der «Professorinnen und Akademiker» hinunter zu den «Unterschichtsangehörigen», die «in Gefängnissen und Anstalten einsitzen mussten, ohne dass sie eine Strafe begangen hätten».

Dazwischen ein heimatliches Foteli: Ein gesunder zufriedener «Verdingbub» bringt Milch in die Käsi.

Was dann folgt, sind gezielte Giftpfeile  an die Adresse der UEK. Sie hat sich erlaubt, 14 Autorinnen und Autoren - allesamt Opfer von administrativer Versorgungen und Fürsorgerischer Zwangsmassnahmen -insgesamt  57 Seiten des Syntheseberichts  für ihre freie Meinungsäusserung zu nutzen. Sie tun das engagiert, mit Wut im Ranzen, auch poetisch und sachlich, nicht aber immer nach dem Geschmack des NZZ-Schreibers. Wäre es nach ihm gegangen, hätte die Kommission die Autorinnen und Autoren an die Kandare nehmen müssen und sie erneut bevormunden, sprich, zensurieren sollen. Original Hafner tönt das dann so: «So verständlich die Wut der Autoren (von Autorinnen ist nicht die Rede) sind – man hätte die Texte nicht einfach unkommentiert abdrucken, sondern darüber diskutieren sollen». 

Der Schlussbericht «Organisierte Willkür» hat 389 Seiten. 57 Seiten davon haben die Opfer selbständig gestalten dürfen. Ein mutiger Entscheid der UEK. Sie hat mit diesen 57 Seiten manche hochnäsige Kollegin und manch hochnäsiger Kollege der historischen Wissenschaft verschnupft und neidisch gestimmt (Hafner wird ja nicht der einzige sein). Im Gegenzug hat die UEK mit ihrer offenen, ehrlichen, transparenten und partizipativen Arbeit vielen Opfern etwas zurückgegeben was sie ein Leben lang vermisst haben: ACHTUNG!

Hafner wirft alle Beiträge der Opfer in einen Kübel. Hat er sie wirklich gelesen? Wohl kaum. Sonst würde er sie nicht so pauschal und beleidigend  als «Verschwörungstheoretisch und Sühnephantastisch» abqualifizieren.  

Gewundert hat mich, wie Hafner der UEK die Kompetenz abspricht, Empfehlungen  zu formulieren.  Dafür sei – so Hafner – «die Politik zuständig». Was meint er mit «die Politik?»  Wie lange haben die Opfer auf «die Politik» gewartet, bis endlich Bewegung in die Sache kam? Es waren die Opfer die den monumentalen Stein ins rollen brachten. Es waren die Opfer, die den runden Tisch forderten und es waren die Opfer die von der Landesregierung die Bitte um Entschuldigung abrangen. Auf «Die Politik» hätten die Opfer noch lange warten müssen. Denn «die Politik» ist opportunistisch. Sie macht was ihr dient. Sie ist der Mehrheit verpflichtet.  

Und wenn Urs Hafner die Empfehlungen der UEK, die er gerne in der Hand der «Politik» gesehen hätte schon auflistet, dann bitte sehr vollständig. Das Gratis-GA sticht im Artikel hervor (Medienlogik) und im gleichen Atemzug  kommen gleich die Renten. Das Haus der anderen Schweiz nennt er «Kulturanimation». Kein NZZ-Leser kann sich darunter etwas vernünftiges vorstellen. Das war gewollt. Die UEK hingegen erklärt in ihrem Schlussbericht die Absichten zum «Haus der anderen Schweiz» ausführlich. Hafner hat dann vielleicht schon geschlafen. 

Urs Hafner hat in der NZZ in drei Beiträgen  immer wieder mit feiner Klinge und spitzen Giftpfeilen die Aufarbeitung der UEK journalistisch begleitet und kritisiert. Er war immer belehrend und besserwissend. So auch in seinem letzten, vor wenigen Tagen erschienen Artikel, wo er im Titel schreibt, der Expertenbericht habe eine Chance verpasst. Ich habe die 9 Bände der UEK alle gelesen. Mir ist schleierhaft, was da verpasst wurde. Vielleicht kann mich Urs Hafner belehren.

  

www.nzz.ch/schweiz/bericht-ueber-administrativ-versorgte-eine-verpasste-chance-ld.1506960